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Nachrichten aus den Exilsammlungen

Ausschnitt der illustrierten Titelseite des London Diary von Lili Cassel. Ein zeichnendes Mädchen sitzt zwischen Wolken vermutlich auf einem Sperrballon zur Abwehr von Luftangriffen. Die Illustrationen sind mit Tusche und Wasserfarben gemalt.

Zum Tod der Lyrikerin Emma Kann

Am 19. Januar 2009 ist die Lyrikerin Emma Kann im Alter von 94 Jahren in Konstanz gestorben.

Die am 25. Mai 1914 in Frankfurt am Main geborene und dort aufgewachsene Emma Kann emigrierte nach ihrem Abitur 1933 nach England, wo sie in Brighton und London lebte. 1936 verließ sie England, um zunächst nach Antwerpen zu gehen, wo sie Beschäftigung gefunden hatte. „Als ich an Weihnachten 1936 meine Mutter in Frankfurt besuchen wollte, wurde mir trotz eines gültigen Reisepasses die Einreise an der deutsch-belgischen Grenze verweigert. Der Beamte zeigte mir meinen Namen auf der Liste, nach der er sich richten mußte. 1937 wurde dann mein deutscher Paß nicht mehr erneuert. [...] Ich musste also fliehen, bevor die deutsche Armee nach Antwerpen kam“. (Emma Kann: „Meine Erinnerungen an das Lager Gurs“. In: Exil, XV (1995), 2, S. 25).

Ihre Emigration nach Frankreich begann für Emma Kann mit einer Internierung im Pyrenäen-Lager Gurs, in dem sie vier Wochen verbringen musste. Viele ihrer Gedichte handeln davon. In ihren „Erinnerungen an das Lager Gurs“ beschreibt sie ihre Erlebnisse: „Die Verhältnisse waren sehr primitiv. Unser îlot enthielt ungefähr 25 große Holzbaracken, in denen 60 Frauen Unterkunft finden konnten. Wir schliefen oder saßen auf Strohsäcken auf dem Holzboden der Baracke. [...] Ich hatte manchmal ein deutliches Hungergefühl und bemühte mich dann, mit meinen Energien sparsam umzugehen. Aber ich dachte, daß dies in den Kriegswirren vielleicht unvermeidlich war und daß sich in Frankreich zu diesem Zeitpunkt sehr viel Schlimmeres abspielte.“ (Exil, XV (1995), 2, S. 26).

Nach ihrer Entlassung aus dem Frauenlager Gurs blieb Emma Kann bis 1942 in Frankreich und emigrierte dann über Casablanca nach Havanna, Kuba, wo sie als Lehrerin für Englisch Beschäftigung fand. Von dort ging sie 1945 in die Vereinigten Staaten und lebte bis 1981 in New York. Dort widmete sie sich aktiv dem Schreiben von Gedichten, belegte Kurse an der New School for Social Research und dem Poetry Center, unter anderem unter der Leitung von Louise Bogan und W.H. Auden.

Anfang der 1980er Jahre kehrte Emma Kann, die 1969 erblindet war, nach Deutschland zurück. Mit diesem Ortswechsel war auch die Rückkehr zur deutschen Sprache verbunden. Seit 1981 schrieb Emma Kann ihre Gedichte und Essays wieder auf Deutsch, einer Sprache, die sie 1948 verlassen hatte, um auf Englisch, der Sprache ihrer Erlebniswelt, zu schreiben. Ihre Leidenschaft für Literatur war bereits durch ihr Elternhaus geprägt worden, schon als Kind hatte sie sich mit Literatur befasst und bereits erste Gedichte geschrieben. In ihren Gedichten und Essays beschäftigte sich Emma Kann mit ihrer Emigration und den Stationen ihres Lebens, definierte das Grundmotiv ihrer Lyrik aber weitgefasst: „Sehr oft wird der Leser, wenn er Zeit dazu hat, ganz ähnlich empfinden, aber es vielleicht nicht in Worte fassen und dann finden, hier ist das ausgedrückt, was ich auch empfinde. So daß das Gedicht nur halb von dem Schreibenden gemacht wird, und der Leser es erst vervollständigt. Der Leser muß etwas hineinprojizieren können, was vielleicht ich gar nicht bewußt hineingeschrieben habe. [...] Ein Gedicht spielt ja auf sehr vielen Ebenen“. (Ottmar Ette: „Was über die Zeit hinausgeht. Interview mit der Lyrikerin Emma Kann“ In: Exil, VIII (1993), 2, S. 39f. )

Bereits 1991 hatte Emma Kann damit begonnen, Ihren Vorlass sukzessive an das Deutsche Exilarchiv 1933–1945 der Deutschen Nationalbibliothek zu übergeben. Unter diesen Unterlagen befinden sich ihre in England, Belgien, Havana, New York und Deutschland entstandenen Gedichte, Autobiografische Schriften, Essays zu verschiedenen Themen, Tagebücher sowie Lebensdokumente. Allesamt Zeugnisse der vielen Stationen ihres Lebens.

Erinnerungssturm
Sonett

Aus meinem Vorrat der Erinnerungen
Hob sich ein Wirbelsturm der schönen Stunden.
Am Rand des Schlafs hab ich mich ganz erfüllt
Von diesem Reichtum meiner Zeit empfunden.

Die bösen Tage haben andre Gaben
Der Wiederkehr. Heute ließ mein Hirn dem Glück
Die Wege offen. Ein geliebtes Wesen,
Ein schöner Anblick kam zu mir zurück.

Ich fühle mich, als ob ich Flügel hätte,
Vom Wirbelsturm der Freude straff geschwellt,
Dem Sturm, der mich von allen Seiten trifft,
Mich vorwärts trägt, mir keine Fragen stellt.

Ich war so reich, ich war so unversehrt.
Das war die Mühe eines Lebens wert.

Emma Kann, April 1994

Blätterfunktion

Inhalt des Dossiers

  1. Hans Günter Flieg (1923–2024) – In memoriam
  2. Dr. Ruth K. Westheimer (1928–2024) – in memoriam
  3. Guy Stern (1922–2023) – in memoriam
  4. Trude Simonsohn (1921-2022) – in memoriam
  5. „Kinderemigration aus Frankfurt am Main. Geschichten der Rettung, des Verlusts und der Erinnerung"
  6. Fragebögen als Quelle zur Erforschung des deutschsprachigen Exils – Am Beispiel von Alfred Kantorowicz
  7. Professor Dr. John M. Spalek (1928-2021) in memoriam
  8. Lieselotte Maas (1937-2020) – In memoriam
  9. Ruth Klüger (1931-2020) – In memoriam
  10. „Was soll ich kochen?“ – Rezepte aus dem Deutschen Exilarchiv 1933-1945
  11. Hellmut Stern (1928-2020) – In memoriam
  12. Thomas Mann: Deutsche Hörer! – Hörstation Exil 1933-1945 vor der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt eingeweiht
  13. Ausstellungskatalog „Exil. Erfahrung und Zeugnis“ erscheint
  14. Themenschwerpunkt Exil: Das Geschichtsmagazin „Damals“ erscheint in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Exilarchiv 1933–1945
  15. Dora Schindel (1915–2018) – In memoriam
  16. Werner Berthold (1921–2017) – In memoriam
  17. Rolf Kralovitz (1925 - 2015) – In memoriam
  18. Buddy Elias – In memoriam
  19. Künste im Exil - virtuelle Ausstellung und Netzwerk
  20. Brigitte Kralovitz-Meckauer (1925–2014) – In memoriam
  21. Ludwig Werner Kahn - zum 100. Geburtstag
  22. Verleihung der Goethe-Medaille und der Ehrenmitgliedschaft der Gesellschaft für Exilforschung e.V. an Professor John M. Spalek
  23. „Nestor der deutschen Finanzwissenschaft“ - Fritz Neumark zum 110. Geburtstag
  24. Büchergeschenk für die Deutsche Nationalbibliothek
  25. „Als Gefangene bei Stalin und Hitler“ - Margarete Buber-Neumann zum 20. Todestag
  26. Begründer der Futurologie - Ossip K. Flechtheim zum 100. Geburtstag
  27. Zum Tod der Lyrikerin Emma Kann
  28. Nestor der Exilforschung 1933-1945 in den USA - zum 80. Geburtstag von Prof. Dr. John M. Spalek
  29. Vorlass des Politologen John G. Stoessinger im Deutschen Exilarchiv 1933-1945
  30. Lili Cassel Wronker: A London Diary, 1939–1940
  31. Chronistin ihres Jahrhunderts - Anja Lundholm zum 90. Geburtstag
  32. Reichsausbürgerungskartei
  33. Das Deutsche Exilarchiv 1933–1945 erwirbt den umfangreichen Nachlass des Hethitologen Hans Gustav Güterbock (1908–2000)
  34. Geneviève Pitot: Der Mauritius-Schekel

Letzte Änderung: 06.01.2022
Kurz-URL: https://www.dnb.de/deanachrichten

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