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Professor Dr. John M. Spalek (1928-2021) in memoriam

Sein kontinuierlicher Einsatz hatte auch einen biografischen Hintergrund: „Ich muss mir selber zugeben, dass ich wahrscheinlich nicht so an dieser Exilforschung gehangen hätte […], wenn mich da nicht etwas angesprochen [hätte]. Und da ist vielleicht doch eine persönliche Note, in dem Sinne, ich bin ja quasi selber ein Emigrant. Ich habe meine Muttersprache polnisch verlassen, dann russisch benutzt, dann deutsch und dann englisch und dann spanisch, usw.“, zog er selbst in einem Interview 2010 die Verbindung zwischen seiner Herkunft und seinem Interesse für die Exilforschung.

John M. Spalek wurde am 28.7.1928 in Warschau geboren und lebte mit seinen Eltern bis 1939 in Bialystok, wo der Vater Baptistenprediger war. Nach dem Hitler-Stalin-Pakt wurde die Familie aufgrund der deutschen Herkunft der Mutter nach Sachsen umgesiedelt, zog von dort aber weiter nach Łódź. Nach dem Tod des Vaters flohen Mutter und Sohn 1944 nach Deutschland und siedelten sich in Gummersbach an, wo John Spalek eine Tischlerlehre begann. Noch bei einem Besuch in seinem Haus in Albany im Jahr 2011 wies John M. Spalek nicht ohne Stolz darauf hin, dass er seine Küche selbst gefertigt hatte. Nach dem Tod seiner Mutter wanderte der 21-jährige John Spalek 1949 in die USA aus. Sein Arbeitsleben dort begann er als Holzfäller, viele Gelegenheitsjobs und Aufträge als Zimmermann schlossen sich an. Seine frühen Jahre hatten ihn geprägt. Spalek war ohne jeden Dünkel, er hatte wenig Verständnis für Hierarchien, wenig Interesse an persönlichen Ehrungen. Er war interessiert an Ergebnissen und daran, möglichst viele Informationen zum deutschsprachigen Exil zu sichern. In diesem positiven Sinn war er ein Getriebener.

Schon bald begann John M. Spalek in den USA seine akademische Ausbildung. Nach einem Collegestudium in Fremdsprachen und Geschichte nahm er ein Germanistik-Studium an der Stanford University auf, wo er auch promovierte. Über seine Beschäftigung mit Ernst Toller, das hat er selbst oft erzählt, fand er zur Exilforschung. 1968 erschien die Bibliografie „Ernst Toller and his critics“ (University Press), 1978 die gemeinsam mit Wolfgang Frühwald herausgegebene Toller-Werkausgabe (Hanser Verlag). Auch zu Lion Feuchtwanger und Franz Werfel legte Spalek Einzelstudien vor. 1960 wechselte er an die University of Southern California in Los Angeles. Dort traf er auf viele deutschsprachige Exilierte. „Das war eigentlich, was mein Leben über die nächsten vierzig Jahre bestimmt hat. […]. Ich komme mir fast selbst wie eine geschichtliche Figur vor, weil ich die Leute tatsächlich gekannt habe. […] Frau Feuchtwanger kannte ich dann sehr gut, aber auch Georg Froeschl, Gina Kaus und verschiedene andere“. John M. Spalek wurde zu einem der führenden Exilforscher der USA, Präsident der 1979 gegründeten Society of Exil Studies, der auch international vernetzt und bekannt war.

Von Los Angeles führte Spaleks Weg 1970 an die State University von New York in Albany. Dort intensivierte er seine Forschungsarbeit zum deutschsprachigen Exil weiter. Frühzeitig und vorausschauend begann er schon in den 1970er Jahren damit, nicht nur bio-bibliographische Angaben, sondern auch materiale Zeugnisse des deutschsprachigen Exils in den USA zu sammeln und zu beschreiben. Seine Beschäftigung mit Werk und Biografie Ernst Tollers hatte dafür bereits den Grundstein gelegt. Jeder noch so kleinen Spur war Spalek nachgegangen, um die versprengten Informationen zu einem Gesamtbild zusammenzufügen. Seine Toller-Sammlung, die man in seinem Haus in Albany betrachten konnte, legte davon Zeugnis ab.

In vier Bänden erschien von 1978 bis 1997 „Spaleks Guide to the Archival Materials of the German-speaking Emigration to the United States after 1933“ (Verlag K. G. Saur) in Kooperation mit der DeutschenNatoionalbibliothek, die als deutsche Partnerinstitution eine Förderung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft ermöglichte.
Neben der Beschreibung der Bestände war die Sicherung der Zeugnisse des deutschsprachigen Exils Spaleks Anliegen. An der State University of New York in Albany gründete er eine beachtliche Exilsammlung, die viele wichtige Nachlässe versammelt. Spalek war immer daran interessiert, über Grenzen hinweg zu denken. Sein Interesse war multidisziplinär. So lag es nahe, dass er sich bei der Suche nach Exilbeständen nicht auf die Nachlässe berühmter Schriftsteller*innen beschränkte, sondern auch Materialien und biografische Informationen von politischen Publizist*innen und Wissenschaftler*innen zusammentrug. Er verfolgte auch kleinste Spuren: „Das ist Detektivarbeit […] man sucht nach Materialien, danach, woran sich die Leute noch erinnern können […]. Beweismaterialien für das Leben eines Schriftstellers, eines Drehbuchautors, eines Wissenschaftlers, eines Künstlers“, beschrieb er sein Vorgehen. Seine publizierten Bände legen davon Zeugnis ab, sie sind das Ergebnis seiner Grundlagenarbeit, auf der die weitere Exilforschung aufsetzen konnte.

Ebenso grundlegend war Spaleks gemeinsam mit Joseph Strelka, später mit Konrad Feilchenfeld und Sandra Hawrylchak zwischen 1976 und 2010 herausgegebene zehnbändige Reihe „Deutschsprachige Exilliteratur seit 1933“ (Francke Verlag, später Verlag K. G. Saur/de Gruyter), die Biografien, Bibliografien und thematische Einführungen zum deutschsprachigen Exil in den USA versammelt.
John M. Spaleks Kontakt mit dem Deutschen Exilarchiv 1933-1945 der Deutschen Nationalbibliothek reicht bis in die frühen 1970er Jahre zurück. Waren es zunächst Kooperationen bei Publikationen und Austausch zu Fragen der Exilforschung, begann in den 1990er Jahre eine intensive Zusammenarbeit. Unterstützt von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung, der Robert Bosch Stiftung und der Hamburger Stiftung für Wissenschaft und Kultur kooperierten John M. Spalek und das Deutsche Exilarchiv der Deutschen Nationalbibliothek bei der Sicherung von persönlichen Nachlässen deutschsprachiger Exilierter in den USA. Eine intensive Zusammenarbeit begann, ein fast täglicher telefonischer Austausch und häufige Besuche Spaleks im Exilarchiv gehörten viele Jahre lang zum gemeinsamen Projekt. 95 Bestände emigrierter Wissenschaftler*innen, Publizist*innen, Schriftsteller*innen und Künstler*innen hat John M. Spalek nach Frankfurt ins Exilarchiv gebracht. Inhaltsreiche, viele Meter von Material umfassende Nachlässe sind ebenso darunter wie Teilbestände oder Nachlasssplitter, die erste Spuren sichern. Darunter befinden sich so ergiebige Bestände wie die der Schriftsteller Iwan Heilbut und Soma Morgenstern, des Chemikers Frederick R. Eirich, des Hethitologen Gustav Güterbock, des Altphilologen Ernst Moritz Manasse und der Juristin Clementine Zernik.

Für seine Arbeit hat Spalek Ehrungen erhalten, 2010 wurde er Ehrenmitglied der Gesellschaft für Exilforschung. Im selben Jahr wurde ihm in Weimar von Klaus-Dieter Lehmann, Präsident der Goetheinstitute und früherer Generaldirektor der Deutschen Nationalbibliothek, die Goethemedaille verliehen. Auf die Frage, welche Bedeutung diese Ehrung für ihn habe, antworte er: „Also vielleicht nicht so sehr persönlich für mich als für die Anerkennung der Exilforschung, also der Beschäftigung mit den Autoren, Wissenschaftlern, Künstlern, die also Deutschland verlassen mussten. Was mich angeht, ich fühle mich geehrt, aber mir ist es viel, viel wichtiger, dass damit auch die Tatsache der Forschung anerkannt wird und bekannt wird“.

Eine Ehrung anderer Art war der Dokumentarfilm Gregor Eppingers „Die Koffer des Herrn Spalek“, der einem größeren Publikum die Arbeit des Exilforschers nahebrachte (Sehstern Filmproduktion, 2012). 2011 hat John M. Spalek sein Forscherarchiv dem Deutschen Exilarchiv anvertraut. Viele Regalmeter, gefüllt mit seinen Files, in denen er Informationen zu deutschsprachigen Exilierten in den USA sammelte, haben wir gemeinsam in seinem Haus in Albany durchgesehen, verpackt und nach Frankfurt geschickt. Sein Archiv gibt nicht nur Auskunft über die Persönlichkeiten des Exils, sondern auch über Spaleks Arbeitsweise. Nicht alle Fälle konnte er noch selbst bearbeiten: „Ich hätte gerne noch zwei Jahre daran gearbeitet, eine Reihe von Nachlässen sind noch da, ich habe noch einen ganzen Stoß von schon getippten Briefen, die ich nicht ausschicken kann, weil ich die vorhergehenden Fälle noch nicht bearbeitet habe“, kommentierte er 2010 den Stand der Arbeiten. Er selbst konnte viele Dinge nicht mehr angehen, doch viele von ihm angestoßene Vorhaben haben sich weiterentwickelt. So konnte ein Teilnachlass der Künstler*innen Eric und Jula Isenburger, den John M. Spalek ins Exilarchiv gebracht hatte, mit weiteren Teilbeständen zu einem aussagekräftigen und inhaltsreichen Nachlass zusammengeführt werden. Es hätte ihn gefreut.

Am 5. Juni 2021 ist John M. Spalek in Philadelphia gestorben.

(Dr. Sylvia Asmus)

Letzte Änderung: 07.06.2021

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