Zum Tod der Lyrikerin Emma Kann
Ihre Emigration nach Frankreich begann für Emma Kann mit einer Internierung im Pyrenäen-Lager Gurs, in dem sie vier Wochen verbringen musste. Viele ihrer Gedichte handeln davon. In ihren „Erinnerungen an das Lager Gurs“ beschreibt sie ihre Erlebnisse: „Die Verhältnisse waren sehr primitiv. Unser îlot enthielt ungefähr 25 große Holzbaracken, in denen 60 Frauen Unterkunft finden konnten. Wir schliefen oder saßen auf Strohsäcken auf dem Holzboden der Baracke. [...] Ich hatte manchmal ein deutliches Hungergefühl und bemühte mich dann, mit meinen Energien sparsam umzugehen. Aber ich dachte, daß dies in den Kriegswirren vielleicht unvermeidlich war und daß sich in Frankreich zu diesem Zeitpunkt sehr viel Schlimmeres abspielte.“ (Exil, XV (1995), 2, S. 26).
Nach ihrer Entlassung aus dem Frauenlager Gurs blieb Emma Kann bis 1942 in Frankreich und emigrierte dann über Casablanca nach Havanna, Kuba, wo sie als Lehrerin für Englisch Beschäftigung fand. Von dort ging sie 1945 in die Vereinigten Staaten und lebte bis 1981 in New York. Dort widmete sie sich aktiv dem Schreiben von Gedichten, belegte Kurse an der New School for Social Research und dem Poetry Center, unter anderem unter der Leitung von Louise Bogan und W.H. Auden.
Anfang der 1980er Jahre kehrte Emma Kann, die 1969 erblindet war, nach Deutschland zurück. Mit diesem Ortswechsel war auch die Rückkehr zur deutschen Sprache verbunden. Seit 1981 schrieb Emma Kann ihre Gedichte und Essays wieder auf Deutsch, einer Sprache, die sie 1948 verlassen hatte, um auf Englisch, der Sprache ihrer Erlebniswelt, zu schreiben. Ihre Leidenschaft für Literatur war bereits durch ihr Elternhaus geprägt worden, schon als Kind hatte sie sich mit Literatur befasst und bereits erste Gedichte geschrieben. In ihren Gedichten und Essays beschäftigte sich Emma Kann mit ihrer Emigration und den Stationen ihres Lebens, definierte das Grundmotiv ihrer Lyrik aber weitgefasst: „Sehr oft wird der Leser, wenn er Zeit dazu hat, ganz ähnlich empfinden, aber es vielleicht nicht in Worte fassen und dann finden, hier ist das ausgedrückt, was ich auch empfinde. So daß das Gedicht nur halb von dem Schreibenden gemacht wird, und der Leser es erst vervollständigt. Der Leser muß etwas hineinprojizieren können, was vielleicht ich gar nicht bewußt hineingeschrieben habe. [...] Ein Gedicht spielt ja auf sehr vielen Ebenen“. (Ottmar Ette: „Was über die Zeit hinausgeht. Interview mit der Lyrikerin Emma Kann“ In: Exil, VIII (1993), 2, S. 39f. )
Bereits 1991 hatte Emma Kann damit begonnen, Ihren Vorlass sukzessive an das Deutsche Exilarchiv 1933–1945 der Deutschen Nationalbibliothek zu übergeben. Unter diesen Unterlagen befinden sich ihre in England, Belgien, Havana, New York und Deutschland entstandenen Gedichte, Autobiografische Schriften, Essays zu verschiedenen Themen, Tagebücher sowie Lebensdokumente. Allesamt Zeugnisse der vielen Stationen ihres Lebens.
Erinnerungssturm
Sonett
Aus meinem Vorrat der Erinnerungen
Hob sich ein Wirbelsturm der schönen Stunden.
Am Rand des Schlafs hab ich mich ganz erfüllt
Von diesem Reichtum meiner Zeit empfunden.
Die bösen Tage haben andre Gaben
Der Wiederkehr. Heute ließ mein Hirn dem Glück
Die Wege offen. Ein geliebtes Wesen,
Ein schöner Anblick kam zu mir zurück.
Ich fühle mich, als ob ich Flügel hätte,
Vom Wirbelsturm der Freude straff geschwellt,
Dem Sturm, der mich von allen Seiten trifft,
Mich vorwärts trägt, mir keine Fragen stellt.
Ich war so reich, ich war so unversehrt.
Das war die Mühe eines Lebens wert.
Emma Kann, April 1994