Jan Tschichold – ein Jahrhunderttypograf?
19. März bis 13. Oktober 2019 // Wechselausstellung
Obwohl selbst nie am Bauhaus tätig, gilt der in Leipzig geborene Typograf und Buchgestalter Jan Tschichold (1902–1974) als einer der wichtigsten Vertreter der funktionalen Typografie. Seine Entwürfe sind Klassiker des Grafik-Designs. Das Deutsche Buch- und Schriftmuseum der Deutschen Nationalbibliothek in Leipzig schöpft in der Wechselausstellung aus dem umfassenden Nachlass Tschicholds, den es 2015 als Schenkung übernommen hat.
Anlässlich des Bauhaus-Jubiläums 2019 sowie anhand einer Auswahl von ca. 200 Objekten führt die Ausstellung durch die Biografie dieses Jahrhunderttypografen, dessen Leben von zahlreichen, auch exilbedingten Brüchen und Neuanfängen geprägt ist. Dieses „Zick-Zack“ durch das Jahrhundert der Typografie bettet Tschicholds berühmte Arbeiten aus den 1920er-Jahren in den Kontext seines Gesamtwerkes – vom Leipziger Schildermaler über den Vertreter der Neuen Typografie und das Redesign der Penguin Books bis zum grafischen Gesamtauftritt großer Firmen.
Dass die „Neue Typographie“ im Umfeld des Bauhauses, die Tschicholds Ruhm begründet hat, dabei nur eine Facette seines Gesamtwerkes darstellt, wirft auch ein neues Licht auf 100 Jahre Rezeption des Bauhauses. Wenngleich von Tschicholds vielzitiertem Heft „elementare typographie“ von 1925 zweifellos eine Jahrhundertwirkung ausgeht, die auch für das typografische Schaffen des Bauhauses zentral ist, wird man aber weder der Rezeption des Bauhauses noch Tschichold selbst gerecht, wenn diese Schaffensphase isoliert betrachtet wird. Vielmehr sind es die Widersprüchlichkeit einzelner Werkphasen und die Heterogenität seiner typografischen Lösungen, die Tschichold zu einer der schillerndsten Gestalten in der Typografie des 20. Jahrhunderts machen. Insofern versteht sich die Schau auch als eine historiografische Position, die den Mythos von der Dominanz des Bauhauses gegen den Strich bürstet.
Möglich wurde die Ausstellung durch eine überaus großzügige Schenkung der Erben von Jan Tschichold, die dessen umfangreichen Arbeitsnachlass 2015 an das Deutsche Buch- und Schriftmuseum übergaben. Die in 176 teils großformatigen Kisten überlieferten Dokumente erlauben in ihrem Studiencharakter einen „Blick über die Schulter“ des Jahrhunderttypografen. Das kommt einem allgemeinen Interesse an der Geschichte der Typografie entgegen, das der furiose Wandel von Schreiben und Lesen im digitalen Umfeld mit sich bringt. Der Nachlass Tschicholds gewährt Einblick in alle Schaffensperioden und Meilensteine seiner typografischen Arbeit: Beginnend mit den ersten Skizzenbüchern des 16-Jährigen über zahlreichen Schriftentwürfe, Studien zu Buchcovern und Arbeiten im Umfeld der „Neuen Typographie“ bis hin zu seinen pädagogischen Schriften und den Arbeiten für die gestalterischen Gesamtauftritte großer Unternehmen.
Eine Ausstellung in Kooperation mit der Universität Erfurt.
Der Wallstein Verlag hat eine Begleitpublikation zur Ausstellung veröffentlicht, die im Museum für 24,00 Euro erhältlich ist. Außerdem hat die Stadt Leipzig zu Ehren Tschicholds, in der Schorlemmer Straße 8 – einem der Wohnhäuser Jan Tschicholds aus den 1920er Jahren in Leipzig - eine Gedenktafel errichtet.
Ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördertes Projekt bringt den Nachlass des Typografen Jan Tschichold weltweit frei verfügbar ins Internet. Mehr dazu hier.
Letzte Änderung:
28.07.2021