Schmutz und Schund. Die Weimarer Republik
11. Oktober 2019 bis 26. Januar 2020 // Kabinettausstellung
Warnungen vor der verderblichen Wirkung neuer Medien auf die Heranwachsenden sind so alt wie die Mediengeschichte selbst und durchziehen das 19., 20. und 21. Jahrhundert wie ein roter Faden. Der Rückblick auf vergangene Kämpfe kann manche Aufregung über den Medienkonsum der Jugend von heute in eine angemessene Perspektive rücken.
Die Kultur der Weimarer Republik verbinden wir mit Glanz und Glamour, den Goldenen Zwanzigern und der Avantgarde. Übersehen wird oft die Kultur der Massen, die in ihrer Zeit auf starke Widerstände stieß. Mit der Parole „Schmutz und Schund‘“ gingen besorgte Bürger und Bürgerinnen seit dem Kaiserreich gegen die Vergnügungen der „einfachen Leute“ vor.
Am 3. Dezember 1926 wurde das Gesetz zur Bewahrung der Jugend vor Schund- und Schmutzschriften verabschiedet. Es ergänzte den alten Sittlichkeitsparagrafen, mit dem unzüchtige Schriften weiterhin per Gerichtsverfahren verboten werden konnten.
Das Gesetz richtete neue Prüfstellen in München und Berlin und eine Oberprüfstelle in Leipzig ein. Sie entschieden auf Antrag von Landesjugendämtern oder den Innenministerien. Die Prüfstellen setzten anstößige Literatur, die eine nicht näher definierte Qualität unterschritt, auf eine Liste. Die gelisteten Werke durften nicht beworben und ausgelegt werden. Der Verkauf an unter 18-Jährige war verboten.
Die Kabinettausstellung „Schmutz und Schund“ im Deutschen Buch- und Schriftmuseum der Deutschen Nationalbibliothek beleuchtet dieses wenig bekannte Kapitel aus der Kulturgeschichte der Weimarer Republik anhand zahlreicher Fallbeispiele. Gezeigt werden populäre Groschenheftserien, Romane in wöchentlicher Lieferung, billige Zeitschriften, erste Boulevard-Blätter, aber auch Fachbücher und Belletristik. Die Fallbeispiele geben nicht nur Einblicke in die Hintergründe der Indizierung, sondern kontextualisieren auch die gesellschaftliche Sprengkraft und politische Botschaft mancher Provokation.
Hinter den hehren Worten der Gesetzes-Befürworter versteckte sich ein Kampf um die Hoheit auf kulturellem Gebiet: Bürgerliche Eliten wollten auch weiterhin bestimmen, wer was lesen darf. Umgekehrt zeigen die Urteile, dass in den billigen Heftchen durchaus emanzipative Botschaften steckten. Die Prüfstellen regte die Schilderung starker Frauenrollen auf, viele Abenteuerhelden erschienen ihnen als undeutsch, Verbrecher, die ohne Reue ihr Treiben schilderten, wirkten aufrührerisch.
Das Gesetz hatte nur eine kurze Lebensdauer. Die Nationalsozialisten strichen es 1935. Sie verboten nun mit schwarzen Listen das „schädliche und unerwünschte Schrifttum“ direkt. Und sie standen Erotik und Massengeschmack entspannter gegenüber – so sie denn ideologisch auf Linie lagen. Erst die Bundesrepublik Deutschland führte 1953 wieder ein Gesetz gegen „schmutzige“ Schriften ein; in der DDR lief der Kampf gegen den Schund dagegen nur informell weiter.
Die Ausstellung „Schmutz und Schund“ entwickelten Studierende eines Masterseminars des Instituts für Kommunikations- und Medienwissenschaft der Universität Leipzig unter Leitung von Jun.-Prof. Patrick Merziger in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Buch- und Schriftmuseum.
Mehr zum Thema Zensur erfahren Sie in der Dauerausstellung des Deutschen Buch- und Schriftmuseums.
Letzte Änderung:
09.06.2021